Nachruf auf Hildegard Hamm-Brücher

12.12.2016  |  Nachruf

Wir nehmen Abschied von unserer Wegbegleiterin und Unterstützerin Hildegard Hamm-Brücher, die am 7. Dezember 2016 im Alter von 95 Jahren gestorben ist. Dazu schreibt Annemarie Cordes (Vorstand der Kreisau-Initiative e.V.).

Hildegard Hamm-Brücher 1976

Hildegard Hamm-Brücher 1976

Hildegard Hamm-Brücher 

* 11.05.1921 in Essen
† 07.12.2016 in München

Ein Jahrhundertleben: Hildegard Hamm-Brücher ist tot. Sie war unsere Wegbegleiterin und Unterstützerin von Anfang an. Bereits 1993 – als viele Politiker*innen und auch Nichtpolitiker*innen – noch abwarteten, was man denn von dem noch neuen Projekt für das Neue Kreisau halten sollte, sorgte sie dafür, dass die Stiftung Kreisau für unsere gemeinsame europäische Basisinitiative die Theodor-Heuss-Medaille zu dem Jahresthema "Auf der Suche nach einem europäischen Zuhause" erhielt. Ohne Vorbehalte fand sie gut und richtig, was wir taten und bis heute tun. Was sie damals nicht ahnen konnte, war, dass die Suche bis heute anhält und zum Teil schwieriger scheint als in dem "Jahr der Wunder" 1989.

Demokratie war für sie eine Lebensform, eine aktive Grundhaltung, die jede Demokratie von ihren Bürger*innen braucht, wenn es kein Nachtwächterstaat oder gar eine zerstörbare und gefährdete Demokratie werden soll. Sie nutzte das Forum der Theodor-Heuss-Stiftung, um Politikprofis mit engagierten Vertreter*innen der Bürgergesellschaft zusammen zu bringen. Das hörte nicht am Tag der Preisverleihung auf. In all den Jahren, in denen sie noch politisch aktiv war, lud sie uns immer wieder zu Podiumsdiskussionen und Hintergrundgesprächen in die Parlamentarische Gesellschaft in Berlin ein. Das war für sie Demokratie-Politik, ein von ihr geprägter Begriff.

Sie war die Frau des Self-Empowerment: Sie förderte Initiativen, die gegen Rassismus und "national befreite Zonen" kämpften, und unterstützte Schulprojekte und Umweltinitiativen insbesondere in den neuen Bundesländern. Sie reiste durch die Republik, wichtig war ihr der persönliche Kontakt. Sie pflegte ihre Beziehungen, und das ohne Büro und Apparat hinter sich. Hildegard Brücher wurde 1921 in Essen geboren. Ihre Eltern starben früh. Die Großmutter holte sie und ihre Geschwister nach Dresden, bis sie von den Nazis als Jüdin eingestuft wurde und sich das Leben nahm, als sie ins KZ Theresienstadt abtransportiert werden sollte. Hildegard Brücher studierte dann Chemie in München, wo sie der Nobelpreisträger Heinrich Wieland als seine Doktorandin vor den Nazis beschützte. An der Münchener Universität wurde sie Zeugin des Gewissensaufstandes der Geschwister Scholl. Die Grundhaltung des "Nie wieder" blieb ihr als Leitmotiv für ihr späteres politisches Leben. Schon 1948 ging sie als eine der wenigen Frauen in die Politik.

Rupprecht Podszun, Vorstandsmitglied der Theodor-Heuss-Stiftung, sagte über sie:"Hildegard Hamm-Brücher wurde immer respektiert, oft bewundert und verehrt. Das liegt nicht an ihren politischen Erfolgen, sondern an ihrer Haltung: am unbedingten Eintreten für eine liberale, aufrichtige Politik, an einer Offenheit gegenüber dem Anderen, einer echten geistigen Freiheit. Dass sie Mut, Witz und Freiheitsliebe eines jungen Mädchens mit der Ausstrahlung einer Dame verband, machte sie zu einer der aufregendsten Persönlichkeiten der Bonner Republik. Blinde Parteidisziplin und platte Parolen waren ihre Sache nicht. Am sichtbarsten kollidierte ihre unbestechliche Haltung mit der Wende 1982. Im Bundestag begründete sie mit intellektueller Schärfe, warum der Sturz Helmut Schmidts das "Odium des verletzten demokratischen Anstands" hatte - eine Sternstunde des Parlamentarismus. Sie bezahlte für ihre Aufrichtigkeit jedoch mit Jahren der Ignoranz durch Helmut Kohl und die flexiblen Machtpolitiker ihrer eigenen Partei."

Leider besaß keine der großen demokratischen Parteien die Größe, Hildegard Hamm-Brücher 1994 zur Bundespräsidentin zu wählen, eine verpasste Chance für dieses Land. Wir trauern um eine große Repräsentantin des demokratischen Deutschland und eine unvergessene Förderin unserer Arbeit auf der Suche nach einem europäischen Zuhause.

 

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