Franz von Hammerstein (1921-2011)
"Nach dem Wunsch seiner Mutter katholisch getauft, von Martin Niemöller uniert konfirmiert, von seiner Schweizer Ehefrau Vreni calvinistisch geliebt — fast jeden Sabbat in 'seiner' Synagoge Hüttenweg“, so beschreiben Freunde seine "religious diversity". Begraben wurde er nun im "Reconciliation"-Talar von Coventry, mit einer Kippa aus seiner Synagogengemeinde, auf einem von einer Muslima im Ramadan gearbeiteten Kissen aus Schweizer Stickereien.
Gesegnet war sein Leben und Tun, gerade weil es Ecken und Kanten kannte. Voller Herausforderungen, die er suchte, denen er sich stellte. Vielfältig bunt und zugleich ganz gradlinig - dem einen roten Faden folgend: Widerstehen und Versöhnen (so auch der Titel der Festschrift zu seinem 80. und 85. Geburtstag "Ein Leben zwischen den Stühlen").
"Doch schuldig bin ich, anders als ihr denkt, ich musste früher meine Pflicht erkennen, ich musste schärfer Unheil Unheil nennen, mein Urteil hab ich viel zu lang gelenkt. Diese Verse von Albrecht Haushofer, der 1945 von den Nazis hingerichtet wurde, leiteten Harald Poelchau und mich zur Aktion Sühnezeichen." So sagt Franz 1994, er, der kaum Chance hatte, Schuld in dem beschriebenen Sinne auf sich zu laden. Aber er wusste, wir stehen für mehr ein als einfach nur für uns selbst.
Schon als elfjähriger hatte er in der väterlichen Dienstwohnung im Berliner Bendlerblock (Stauffenbergstraße) Hitler miterlebt, der – kaum an der Macht – vor der versammelten Generalität seine Vernichtungspläne gegenüber dem Osten/der Sowjetunion offenlegte. Der Vater, Kurt von Hammerstein-Equord quittierte daraufhin den Dienst (literarisch beeindruckend festgehalten von Hans Magnus Enzensberger in dem Buch "Hammerstein oder der Eigensinn"). Eine ältere Schwester von Franz stenografierte die Rede mit und übermittelte sie über den kommunistischen Studentenbund nach Moskau. Zwei Brüder waren in die Umsturz-Pläne des 20. Juli 1944 involviert. Von dieser Familie und im Konfirmanden-Unterricht bei Martin Niemöller lernte Franz, der eigenen politischen Überzeugung gemäß auch zu handeln. Im August 1944 wurde er durch die Gestapo in Sippenhaft genommen und von Amerikanern im Mai 1945 aus dem KZ Dachau befreit.
Aufgrund einer starken Sehbehinderung auf einem Auge musste Franz nicht zum Militär. Auf einem Auge fast blind – was für eine Ironie für einen, der sich immer mühte, niemals nur einen Standpunkt gelten zu lassen. Seine immensen Kontaktnetze waren wohl auch für ihn selbst Lebens-notwendig.
Franz von Hammerstein widmete sein Leben der Versöhnungsarbeit. 1958 gründete er gemeinsam mit Lothar Kreyssig die Aktion Sühnezeichen, deren Generalsekretär er später wurde. Im Gründungsaufruf heißt es: "Des zum Zeichen bitten wir die Völker, die Gewalt von uns erlitten haben, dass sie uns erlauben, mit unseren Händen und mit unseren Mitteln in ihrem Land etwas Gutes zu tun; ein Dorf, eine Siedlung, eine Kirche, ein Krankenhaus, oder was sie sonst Gemeinnütziges wollen, als Versöhnungszeichen zu errichten."- Franz von Hammerstein suchte die Versöhnung im Zusammenleben von schwarzen und weißen Gemeinden in den USA, in der Öffnung der bürgerlichen Kirche zur Arbeiterschaft, im christlich-jüdischen Dialog, in der Begegnung mit Menschen aus Ost und West.
Franz von Hammerstein, der vor seinem Theologiestudium selbst den Beruf des Industriekaufmannes bei Krupp Druckemüller gelernt hatte, baute zusammen mit dem „Kreisauer“ Harald Poelchau 1958-1965 die Evangelische Industriejugend in Berlin auf und gab einem Ort dieser Arbeit den programmatischen Namen „Haus Kreisau“ zur Erinnerung an 'die Freunde' und zur Verwirklichung der Kreisauer Ideen von mehr Beteiligung, Mitbestimmung und Verantwortung in einer demokratischen Gesellschaft.
In enger Zusammenarbeit mit der ebenfalls neu gegründeten Aktion Sühnezeichen gewann Franz viele Auszubildende und Jungarbeiter für ganz handfest praktische Versöhnungsarbeit z.B. beim Bau des Versöhnungszentrums in Coventry, der Herstellung zerstörter Gebäude und sozialer Einrichtungen in Frankreich, Norwegen, Polen ...
"Dienst auf dem Planeten" von Eugen Rosenstock-Huessy war ihm damals ein wichtiger Leitfaden, und diesen legte er uns auch bei der Gründung der Kreisau-Inititative bzw. den ersten Treffen in Krzyzowa immer wieder nahe: In der Zivilgesellschaft sollte jede/r Einzelne aktiv etwas für andere tun.
Als die IJBS bereits die Arbeit aufgenommen hatte, widmete Franz sein Versöhnungsengagement noch einmal einer ganz speziellen Zielgruppe. In Seminaren im Berliner Haus Kreisau und Fahrten nach Krzyzowa brachte er Bundeswehroffizieren das 'Geschenk der Versöhnung' nahe. "Man kann in der Welt viele Konflikte besser durch den gewaltfreien, aktiven Friedensdienst lösen als durch den Einsatz von Militärs" gab er ihnen als 'Zeitzeuge' mit auf den Weg.
Der Offizierssohn Franz von Hammerstein hat sich bis zu seinem Tod in unzähligen Ehrenämtern unterschiedlicher gesellschaftlicher Themenfelder engagiert. Wir haben in vielfacher Weise von seinen Hinweisen und Kontakten profitiert: Das bleibt!